Adrian Tillmanns
Lebenswirklichkeit in der Sicherungsverwahrung
Vortrag am 28. Februar 2020 in Dortmund, anlässlich „Feest-Akt“
Sehr geehrtes Auditorium!
Ich fühle mich geehrt, heute vor Ihnen sprechen zu dürfen – und wenn ich es richtig sehe, als fast einziger Nicht-Jurist.
Von Hause aus bin ich Theologe und arbeite – wie sie dem Programm entnehmen durften – als Gefängnisseelsorge in der JVA Werl. Nach einigen Voranstalten bin ich dort seit dem Jahr 2006 und seit dieser Zeit auch mit Sicherungsverwahrten befasst. Damit bin ich schon seit einiger Zeit der Dienstälteste Mitarbeiter in der SV – ich komme auf den Umstand der hohen Fluktuation der Mitarbeitenden später noch einmal zurück.
Daneben bin ich stellvertretender Bundesvorsitzender der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge und deren Beauftragter für rechtspolitische Beobachtung – einen Posten, den bis zu seinem Ruhestand Tobias Müller Monning ausgefüllt hat.
Beauftragter für die SV war ich einmal – in den wilden Jahren des Umbruchs – inzwischen Sprecher einer ökumenischen AG SV, die sich einmal im Jahr an einem deutschen SV-Standort trifft. Schwalmstadt und Tegel hatten wir schon; Bützow folgt in diesem Jahr.
Und weil mich das Thema SV so bewegt, habe ich darüber hinaus bereits die Einrichtungen in Freiburg, Dietz, Rosdorf und Bautzen in Augenschein genommen. Die restlichen werden folgen.
Womit soll ich nun beginnen? Was ist das, was sich an veränderter Lebenswirklichkeit für die SVer eingestellt hat, seit dem es eine Fülle von rechtlichen und baulichen Veränderungen gegeben hat? Was ist das, was ihr Leben wirklich bestimmt?
Ich behandle das Thema Lebenswirklichkeit in drei Punkte.
1. Was hat sich verbessert?
2. Was sind die Haupt-Dilemmata?
3. Welche Wirkung hat das auf die Untergebrachten?
Ich beginne mit dem kürzesten Punkt; den Verbesserungen. Und erwähne da nur die, die wirklich eine Verbesserung darstellen und auch so erlebt werden.
Da ist wohl vor allem die räumliche Größe zu benennen – am schicksten in Bützow mit angrenzender Terrasse – am schlichtesten in Freiburg mit nur 11 qm, weil man hier schwäbisch kniepich nur ein U-Haftgebäude umgewidmet hat. Dietz kommt sogar ohne Gitter aus; was allerdings zu einer reduzierten Ästhetik in der Gartengestaltung geführt hat. Es durfte schlichtweg nichts gebaut oder gepflanzt werden, was als Versteckmöglichkeit dienen könnte.
Als zweites der Verdienst: 16% statt 9% der Nettolohneckvergütung – wie dieses bürokratische Wortungetüm wohl heißt. Ich kriege es eigentlich nur einigermaßen unfallfrei raus, wenn ich es ablesen kann. Nicht zu vergessen in der U-Haft sind es nach wie vor nur 5%.
Als drittes ist wohl zu erwähnen, was an Kosten von der Justiz übernommen wird, wenn den jemand den glücklichen Umstand von vollzugsöffnenden Maßnahmen in der letzten Stufe der Langzeitbeurlaubung erreicht hat. Es werden Hotelübernachtungen (bis 40€) und ein Tagesgeld (10€) bezahlt; es gibt die Übernahmen von ersten Mieten und von Fahrtkosten, um das wichtigste zu benennen. Natürlich ist das dem Umstand geschuldet, dass sonst kein Kostenträger einspringt. Aber wenn ich mir nur einmal für einen kurzen Moment vorstelle, solche Leistungen gäbe es in Strafhaft oder es hätte sie zuvor im Leben der jetzigen SVer gegeben, wieviele hätten wohl einen wesentlich leichteren Start in die Gesellschaft gehabt und wären womöglich gar nicht mehr straffällig geworden.
Als viertes das Telefon auf dem Haftraum. Für die, die noch in der Lage sind sich mit der Welt draußen zu befassen, ein wirklicher Gewinn!
Daneben gibt es noch Kleinigkeiten: Eine Sondereinkaufsliste für die SV, den Paketempfang, der überall sonst bereits abgeschafft wurde, die Möglichkeit mehr und größere technische Geräte zu erwerben.
Die Möglichkeit zur Selbstversorgung mit aktuell knapp 60€ in NRW. In Niedersachsen stellt man dafür einen Betrag von über 200 € zur Verfügung.
Und dann komme ich schon zu den Dingen, die bestimmt gut gemeint waren, aber praktisch die Lebenswirklichkeit doch nicht wirklich verbessern:
Der lange Aufschluss bleibt vielfach ungenutzt. Es gibt nicht wenige Verwahrte, die sich tagelang überhaupt nicht aus ihren Zellen, sorry offizielle Sprachregelung – aus ihren Zimmern – bewegen.
Die permanente Zugänglichkeit des Außenbereichs – in Schwalmstadt mit einem widersinnigen Schleusensystem; in Werl an warmen Sommertagen von Sonnenanbetern wie die Grünanlage eines Freibads genutzt – aber vielfach doch verwaist.
Der hohe Betreuungsschlüssel – was soll ich nun dazu sagen?
Ich bin ja kein ministerieller, der ihn hervorheben muss und als Beleg für qualitativ hochwertige betreuerische Arbeit zu verkaufen hat.
Ich halte ihm im Prinzip für hochgradig unehrlich!
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er vom Gesetzgeber verfügt wurde zur Beruhigung des Gewissens in Anbetracht der Unendlichkeit der Strafe. Die Unmenschlichkeit einer nicht endlich definierten Strafe sollte so abgemildert werden und führt zum Gegenteil. (Ein ähnlich trügerisches Instrument ist die jährliche Überprüfung – aber dieses Feld überlasse ich lieber Frau Grüter und anderen, die diesen Verfahren beiwohnen.)
Einen Begriff, den ich in diesem Zusammenhang aus der Soziologie gelernt habe, ist der Begriff der „Dauerperformanz“. Soziolog*innen eine Genration nach Goffmann, beschreiben die „neuen Leiden“ der Inhaftierung mit dem Phänomen, dass es nichts Unbeobachtetes gibt und alles dokumentiert wird. Mit dem Blick durch die Akte und den darin festgehaltenen Persönlichkeitsstörungen wird dann alles im Hinblick auf Nähe zur Tat und konstruierter Gefährlichkeit eingeordnet und gereicht somit zum Nachteil in den weiteren Beurteilungen.
Ich finde, dieser Begriff erklärt hervorragend, warum so viele Untergebrachte nicht mehr auf die Flure gehen, wenn sie nicht ausdrücklich etwas dazu treibt.
Bösartig gesprochen – und es ist mir wichtig, das nicht als Aussage über die Menschen, die dort arbeiten, sondern als Folge der systemischen Bedingungen zu verstehen – führt das in der Praxis zu einem aufgeblähtem Konferenzsystem, zu ausgedehnten Kaffeerunden auf Fachdienstfluren, die gefangenfrei sind und einem ähnlichen Verhalten der übrigen Bediensteten in den Abteilungsbüros, die in Werl praktischerweise alle mit einer gefangenenfreien Wendeltreppe verbunden sind.
Der Betreuungsschlüssel hat auch so etwas wie eine Doppelbotschaft:
Auf der einen Seite: Wir kümmern uns! Wir sollen euch ja motivieren zum therapeutischen Arbeiten. Und wenn ihr uns ein Stück vertraut und erzählt, haben wir genug Material für weitere Beurteilungen, die natürlich oder vor allem auch das noch Fehlende betont.
Die weitere Möglichkeit: Wenn ihr nicht mit uns redet, dann können wir euch nicht beurteilen und müssen von einer weiteren Gefährlichkeit ausgehen.
Sehr in Erinnerung ist mir noch der Besuch in Rosdorf mit dem Arbeitskreis von Johannes Feest. Einen Vormittag lang wurden uns tolle therapeutische Angebote vorgestellt, um dann einzuräumen, dass sie fast nicht genutzt werden. Es ist nur bedingt besser an anderen Standorten und von individualisierten Therapieangeboten, wie sie das Verfassungsgericht gefordert hat, habe ich bisher nur an einem SV-Standort gehört.
In der Praxis ist es so, dass sich der eine oder andere noch zu Gesprächen motivieren lässt, wenn aber der erste Vollzugsplan mit der psychologischen Einordnung vorliegt, es nicht selten zum Abbruch der Gespräche kommt. Systemisch wird der Fehler gemacht, dass Diagnostik und Therapie oft in einer Hand liegt.
Und wenn die Therapie extern ist, wird sie erheblich entwertet nach dem Motto: Ist ja schön, dass er mit dem Einzeltherapeuten spricht. Und wenn er es jetzt noch mit uns tut, könnten wir anfangen.
Da fühlen sich nicht nur Untergebrachte auf den Arm genommen; es gibt auch Frustrationen auf Seiten der Einzeltherapeuten. Zitat: „Ich weiß gar nicht, was ich in dem Bericht schreiben soll; es wird sich für den Mann in Werl eh nichts ändern!“ (Ich habe mir übrigens die Erlaubnis für dieses Zitat geholt und weiß, um wen es sich handelt und dass er zu den erfahrensten gehört.)
Auf Seiten des psychologischen Dienstes gibt es auch Enttäuschungen; bisweilen sogar Angst, die Kontakt vermeiden lässt, sobald sie ein paar Mal der Enttäuschung der Verwahrten verbal ausgesetzt waren. Es gibt nach knapp 4 Jahren schon einige Psychologinnen, die die Stelle gewechselt haben oder wechseln wollen; zum Teil auch deshalb, weil kaum jemand noch mit ihnen spricht. Wie sinnvoll kann ihre Arbeit dann noch sein, fragt man sich?
Nicht viel anders verhält es sich in den anderen Diensten. In den knapp 4 Jahren SV in Werl – das ist der Zeitraum, indem das neue Haus vier mit den 140 Plätzen besteht – gab es schon mindestens 6 verschiedene Abteilungsleitungen. Die Ausschreibung für die Stelle, stellvertretende Leitung JVA Werl inklusive der Leitung des SVer- Hauses ist schon mehrfach veröffentlicht worden – im Ergebnis ohne Bewerbungen trotz Besoldungsgruppe A 16. Jetzt versucht man es mit A 15 für die Leitung des Hausas 4, aber ohne die Stellvertretung der Gesamtanstalt. Wird bestimmt funktionieren!
Beim uniformierten Dienst in Baden Württemberg ist man bereits dazu übergegangen, eine Sonderzulage SV zu gewähren – ein Modell, was gewerkschaftlich gefordert auch in anderen Bundesländern Einzug halten soll.
Wenn Menschen in der SV nicht arbeiten wollen, wenn Verwahrte – das ist eigentlich auch ein Unwort – nicht oder nicht mehr sprechen wollen, wenn höhere Besoldung auch nur noch bedingt motiviert; dann wäre es eigentlich Zeit, dem einmal grundsätzlich nachzugehen. Und meine Arbeitsthese ging ja noch ein Stück weiter: Ich halte den hohen Betreuungsschlüssel für unehrlich, weil verfassungsgerichtlich einer Therapiegläubigkeit gefröhnt wurde, die praktisch in den allermeisten Fällen zu einem Festschreiben des schlechten Status Quo führt.
(Eine dieser erfahren Psychologinnen drückt sich zum Thema Therapiegläubigkeit so aus: „Da sollen Leute Abitur machen, die schwache Hauptschüler sind. Das ist unfair und zutiefst unethisch!“)
Und der Theologe in mir urteilt: Der Glaube an die Therapie ist letztlich eine Form des Unglaubens!
Frustrationen, Ohnmachtserleben, Resignation, Rückzug – wie ich sie täglich erlebe – sind logische Folgen. Da will man nicht auf den Flur und da will man nicht lange arbeiten!
Immerhin gibt es schon erste Ansätze, die wahrnehmen, dass dieselben Angebote wie in Strafhaft – die auch dort schon nicht zum Erfolg geführt haben, in der SV auch nicht von Erfolg gekrönt sein können. Es gibt erste Ansätze wie die von Klaus – Peter Dahle, die vorschlagen, von der Entwicklungspsychologie auszugehen. Und die Entwicklungsfähigkeit unserer Männer ist eingeschränkt. Und vielleicht kommt man mal dazu, ganz einfach den Untergebrachten mit folgender Fragestellung zu begegnen: Was könnte ihm helfen, nicht mehr in der SV leben zu müssen.
Ich versuche mich jetzt kurz zu halten, obwohl es noch viele weitere Dilemmata gibt, wie z.B. die extrem hohe Übergangsquote in die SV, was in einigen Bundesländern zu Platznot wie in NRW oder zu Neubauten wie in Niedersachsen in der JVA Meppen geführt hat und selbst aus der SoThA in Siegburg ist es in letzten Jahren noch keinem Anschluss-SVer gelungen nicht anzutreten.
Genauso sind mir in diesem Zusammenhang schon die Textbausteine der zuständigen Landgerichte vertraut: Der Antritt der SV ist ein ultima ratio Fall und bedarf besonderer Umstände. Aber leider liegen sie in diesem Fall vor …
Auch die Entlasszahlen sind äußerst bescheiden, und bei Sexualstraftätern konvergiert sie gegen null. Von Prof. Kinzig habe ich den Begriff des Sonderrechts für Sexualstraftäter gehört, was mir noch fast zu nett klingt, aber immerhin einen Begriff bildet, was sich als Tendenz ankündigt: Sie werden bleiben!
Ein paar kleinere Dinge will ich zumindest noch kurz erwähnen: Staatsanwaltschaften, die sogar gewollte Abschiebungen aus der SV verhindern.
Den Umstand, dass man immer noch nicht in der Lage ist, Behandlungspläne zu erstellen, sondern weiter bei Vollzugsplänen bleibt – in gewisser Weise spiegelt sich hierin wieder, dass man noch nicht so ganz begriffen hat, was der Auftrag ist.
Es gibt es immer noch sog. Altfälle, für die 10 Jahres Frist nicht zu gelten scheint. Unser Spitzenreiter hat auch schon wieder mehr als 20 Jahre SV hinter sich.
Ein weiteres Dilemma, welches schon sehr anrührt, wenn man sich nur kurz das Bild vergegenwärtigt: Selbst Pädophile, die auf einen Rollator angewiesen sind, werden nicht entlassen – auch nicht über den ärztlichen Dienst. Genau diese Erfahrung wird selbst von dem noch bis vor kurzem als Abteilungsleiter tätigen Juristen als Dilemma benannt.
Und so gehe ich intensiver nur noch auf einen Punkt ein. Noch erheblicher, als das bisher erwähnte ist die mangelnde Akzeptanz gesellschaftlich und vor Ort, die ich für ursächlich halte, dass man das System genauso belässt, wie es gerade ist.
Mir ist noch die Presseerklärung des Menschen aus dem Justizministerium im Ohr, der sich sinngemäß entschuldigend so äußerte, dass man sich gezwungen sah, die gesetzlichen Regelungen so umzusetzen.
Ich erzähle als Bild für die Akzeptanz vor Ort gerne von dem Hausmaler im SVer-Haus, der in den ersten Monaten trotz Bezahlung nicht arbeiten konnte, weil er keine Farben bekam. Die zuständigen Bediensteten aus der Strafhaft haben so ihre Haltung zum Ausdruck gebracht. Die Bemühungen für ein Kapellen und Kaffeeprojekt von der Seelsorge werden ähnlich „unterstützt“.
„Ich arbeite hier, um die Öffentlichkeit draußen vor Menschen wie Ihnen zu schützen,“ sind Sätze, die nicht nur gedacht, sondern auch wirklich so gesagt werden und so den überaus konfliktuösen Stil erklären. „Um den ist es nicht schade,“ ist auch mehrfach gefallen, als ein Sexualstraftäter an einer Krebserkrankung verstarb.
Man neidet die Haftraumgröße – „Meine Mutter im Altenheim hat weniger.“ Und prüft bei jeder Neuanschaffung, ob man nicht doch noch einen Grund zur Ablehnung findet, weil der SVer ja sowieso schon viel zu viel hat. Die sind alle viel zu fordernd und ganz unverschämt ist es ja, wenn ihnen Gerichte auch noch recht geben.
Der Stammtisch ist schon sehr präsent – ich erlebe ihn deutlich in der Mehrheit. Selbst, der eben bereits erwähnte, bis vor kurzem noch tätige Leiter der SV entblödet sich nicht zu formulieren, dass „die Finanzkraft der Untergebrachten dafür sorgt, dass permanent der Erwerb von Geräten der Unterhaltungselektronik beantragt wird, auf deren Existenz viele Bedienstete erst in diesem Zuge aufmerksam werden.“ Zitat Ende.
Was ist das mehr als Neid, was bekanntlich nicht zu den Tugenden gehört. Der von ihm benutzte Begriff des „Straffvollzugs de luxe“ ist vom selbe Geiste.
Und wenn ich schon den hohen Betreuungsschlüssel für unehrlich hielt, dann verschärft die negative Haltung vieler dort Beschäftigten die Lebenssituation noch einmal erheblich.
Das heißt de facto: Bis auf ein paar, in der Regel Gewaltstraftäter, werden alle anderen in der SV verbleiben. Und das das so ist, einen selbst treffen kann oder treffen wird; das ist der Kern dessen, was die Lebenswirklichkeit der Verwahrten ausmacht!
Ebenfalls aus der neueren Soziologie habe ich dafür – für all die Folgen und Formen der Ohnmachtserfahrung – einen Begriff gelernt. Während es in Strafhaft bei Suiziden den „death without dying“ gibt – findet man in der SV das „dying without death“, das Sterben ohne Tod.
Noch ein letztes Mal erwähne ich den Ex-Leiter unserer Einrichtung: Er gibt immerhin zu, dass es zu ungefähr der Hälfte der Untertgebrachten keinen Kontakt gibt und vermutet Unbeholfenheit, Selbstzweifel und Überforderung. Dying without death meint aber vielmehr: Rückzug aus Resignation angesichts real erlebter Rückschläge und die Unmöglichkeit für sich noch eine Perspektive zu konstruieren außerhalb des vorgegeben und übermächtig erlebten Systems!
Und so haben leider alle Urteile und Gesetzesänderungen dieses Grunddilemma nicht prinzipiell verändert – ein Ergebnis, was auch in neueren Untersuchungen, wie die von Annemarie Dax konstatiert wird. Und ich ergänze: Es bleiben die Beteiligten am Werk, die das genauso wollen und die Macht dazu haben, es genauso durchzusetzen!
Zum Schluss, um Ihnen zu erläutern, was ich meine oder wie es aussieht, möchte ich Ihnen Herrn B. vorstellen:
Herr B. ist vielen von Ihnen bekannt. Er hat ein kleines Stück Rechtsgeschichte geschrieben. Aufgrund seiner Nachfrage bei Gericht, warum seine Entlassung erst über ein halbes Jahr später greifen sollte – wir reden gerade über das Jahr 2011, erfand, wenn ich mich Recht erinnere, der BGH die psychische Störung. Das sollte sich etwas unterhalb der psychischen Erkrankung bewegen, damit sie sich noch im Einklang mit der Schuldfähigkeit befindet. Diese Erfindung benutze man auch für das Konstrukt von ThUG (inzwischen nun wirklich eine Randnotiz in der SV – Gesetzgebung). Dummerweise hat der Rückverweis an das LG für einen weiteren Verbleib des Herrn B. gesorgt.
Als dieses noch Angst hatte – ich meine das LG – erließ es einen Beschluss von fast 30 Seiten, wonach selbst nach einer Entlassung bereits vorsorglich ThUG angeordnet wurde.
Es kam nicht dazu. Herr B. blieb!
Ein bald scheidender, für ihn zuständiger Psychologe erbarmte sich und lockerte ihn. Ich weiß noch genau, dass er mich fragte, ob ich bereit wäre, mit Herrn B. Begleitgänge zu machen, weil sonst im Hause wohl kaum einer bereit wäre. Der Ruf des Herrn B. war schlecht, was sich bis heute nicht geändert hat.
Herr B. traf dann im Urlaub eine alte Liebe. Es kam zu Annäherungen. Herr B. wollte eine kleine Änderungsschneiderei eröffnen und mietete ein bescheidenes Ladenlokal. Und dann kommt es zu seiner Verfehlung: 43 km/h in einer 30er-Zone mit dem Auto, welches er für seine neue alte Liebe gekauft hat. Dummerweise hatte er seinen Führerschein nie abgeholt. Damals kam seine Verhaftung dazwischen. Dass er ihn abholen sollte, dass konnte er mit Hilfe eines alten Schreibens des Straßenverkehramtes sogar nachweisen.
Die Strafe eine Geldstrafe in Höhe von 400 €. Seitdem war Herr B. nicht mehr draußen. Die neue alte Liebe erlosch; mangels Perspektive gibt es noch nicht einmal mehr Telefonate.
Das alles liegt nun auch schon wieder 4 Jahre zurück. Seitdem spricht Herr B. kaum noch; er verwahrlost oder lässt sich verwahrlosen. Er schlurft durch seine Zelle und nur selten auf dem Flur in seinen alten, ausgelatschten karierten Hausschuhen. Sein grauer Bart hat inzwischen eine Länge bis zwischen die Brust. Gespräche mit ihm kosten viel Kraft. Den angebotenen Kaffee will man eigentlich lieber ablehnen. Früher waren seine Kaffeetassen deutlich besser gespült. Das lebendigste in den Gesprächen war früher immer auch seine Wut. Sie ist erloschen. Der Mann ist nur noch leer! Dying without death – so fühlt sich das an! (nach über 20 Jahren SV/TE: 20.4.99/ Strafmaß: 5,3)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!