Stellungnahmen der Herausgeber*innen des Kriminologischen Journals & der Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie zur geplanten Schließung des Masterstudienganges „Internationale Kriminologie“ durch die Universität Hamburg
Stellungnahme GiwK e.V.: http://giwk.de/stellungnahme-der-giwk-e-v-zur-geplanten-abschaffung-des-studiengangs-internationale-kriminologie-an-der-universitaet-hamburg/
Stellungnahme der KrimJ Hrsg: http://www.krimj.de/index.php/de/home-alt/13-news/132-internationale-kriminologie-hamburg
Als Herausgeber*innen der einzigen deutschsprachigen kritisch-kriminologischen Fachzeitschrift, dem Kriminologischen Journal (KrimJ), protestieren wir hiermit gegen die geplante Schließung des Masterstudienganges „Internationale Kriminologie“ seitens der Universität Hamburg. Denn das Ende dieses Studienangebotes träfe nicht nur einen äußerst beliebten Studiengang und deren Studierende, sondern auch die kriminologische und rechtssoziologische Forschung im deutschsprachigen Raum insgesamt.
Das Kriminologische Journal steht in der Tradition der kritischen und reflexiven Sozialwissenschaften und ist internationales Publikationsorgan für Beiträge interdisziplinärer Theoriediskussion und empirischer Sozialforschung, die staatliche Institutionen, Politiken sozialer Ausschließung und sozialer Kontrolle – durch Strafjustiz, Polizei, Sicherheitspolitik, Soziale Arbeit und Sozialpolitik, Massenmedien und Ideologieproduktion – ebenso zum Gegenstand macht wie die Dynamik von Konflikten und Formen von Widerständigkeit. Mit dem Vienna Center for Societal Security (VICESSE) sowie dem Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS), Innsbruck, sind derzeit zwei international renommierte Institute der Sicherheitsforschung institutionelle Mitherausgeber des KrimJ.
Der Masterstudiengang „Internationale Kriminologie“ sowie das ehemalige Institut für kriminologische Sozialforschung nehmen im deutschsprachigen Raum seit den 1980er Jahren eine Sonderstellung ein in der wissenschaftlichen Diskussion um Normalität und Abweichung, Kriminalität, und Risiken sowie entsprechenden Kontrolltechnologien und Interventionsformen. Dabei richtet sich der Blick gleichermaßen auf Prozesse der Ein- und Ausschließung wie auf die der Normgenese und Normalisierung. Der Masterstudiengang verfügt als einziger Kriminologiestudiengang in Deutschland, Österreich und der Schweiz über eine konsequente sozialwissenschaftliche Anbindung. Er vertritt damit, nach international anschlussfähigem Vorbild, eine Kriminologie, die nicht allein als Hilfswissenschaft der Rechtswissenschaften fungiert, sondern eigenständige Fragestellungen, Methoden und Theorien entwickelt.
Der Studiengang trägt mithin die Bezeichnung „International“ nicht durch Zufall. Vielmehr widmet er sich der Analyse internationaler Entwicklungen, die eine Kriminologie hervorbringt, die die Rechts-, Gewalt- und Sicherheitsforschung in sich vereint. Sie setzt dies in ihrem Engagement in zahlreichen europäischen und internationalen Forschungs- und Lehrkooperationen um – allen voran ist hier das „Common Study Programme in Critical Criminology“ sowie der „Doctorate in Cultural and Global Criminology“ zu nennen. Hierunter fällt auch eine empirische Auseinandersetzung mit Aushandlungen auf der Makroebene, beispielsweise zu Genozid oder Umweltzerstörung. Themenfelder, die oftmals außerhalb des rechtswissenschaftlichen kriminologischen Interesses stehen, aber von hoher globalgesellschaftlicher Relevanz sind. Eine Schließung des Studienganges würde somit zu einer juristisch geprägten Engführung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kriminalität, Unsicherheit und ihrer Interventionen auf Mikro- wie Makroebene führen.
Das, was gesellschaftlich als „Kriminalität“ verhandelt wird, kann nur durch eine Vielfalt (sozial-)wissenschaftlicher Ansätze und Methoden umfassend und (instanzen-)kritisch sinnvoll erforscht werden kann. Ein Ende der kritischen Kriminologie an der Universität Hamburg wäre gleichbedeutend mit dem Verlust von Perspektivenvielfalt und einem wissenschaftsreflexiven Kriminologie-Studium, welches seine Forschung eigenständig ausrichtet, ohne sich an dem Nutzeninteresse von Strafverfolgungs- oder Sicherheitsbehörden zu orientieren. Ihr Ende wäre langfristig überdies auch für die rechtswissenschaftliche kriminologische Forschung von Nachteil, da hier ein wichtiger sozialwissenschaftlicher Impulsgeber wegbrechen würde.
Die Situation des Studienganges der „Internationalen Kriminologie“ kann seit der Emeritierung von Prof. Dr. Fritz Sack im Jahr 1996 als durchgehend prekär bezeichnet werden, da die Ausstattung mit Professor*innenstellen seitdem mangelhaft war. Dieser Prekarität steht aber ebenfalls seit jeher ein immenses Interesse seitens der Studierenden gegenüber. Mit Blick auf die jährlich überdurchschnittlich hohen Bewerbungszahlen würde also ein erfolgreicher und enorm nachgefragter Studiengang eingestellt werden. Das ausgeprägte Interesse der Studierenden an dem Studiengang ist dabei kaum überraschend. Aufgrund seiner einzigartigen Ausrichtung zieht er regelmäßig Studierende aus dem Ausland und aus den Bachelor-Studiengängen verschiedener Fachdisziplinen an.
Das Ende des Studienganges würde zudem in eine Zeit fallen, in der zentrale Schwerpunkte und Themen, die in ihm behandelt werden, in wissenschaftlichen Fachdebatten, in der medialen Öffentlichkeit und in der Gesellschaft insgesamt omnipräsent sind. Dazu gehören Fragen wie jene danach, wie „kriminologische Tatsachen“ hergestellt werden und zu politischen Techniken der Regierung von Problemen werden, wie beispielsweise im Umgang mit gesellschaftlichen Protesten oder den Auswirkungen von datenbasierten Überwachungsprogrammen, der Entstehung von Eskalationen im Rahmen sozialer Konflikte oder den Folgen einer sicherheitspolitisch dominierten Kontrolle von Migrationsprozessen. Auf diese Fragen kann die Kritische Kriminologie Hamburgischer Prägung, mit ihrer interdisziplinär angesiedelten Auseinandersetzung fachkundige Antworten geben.
Auf diese Weise spielt der Studiengang nicht nur eine diskursprägende Rolle in wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Fachdebatten, sondern auch eine aufklärerisch-praktische, indem z.B. zahlreiche Absolvent*innen des Studienganges in Polizeihochschulen verschiedener Bundesländer den polizeilichen Nachwuchs ausbilden. Gerade aufgrund der zahlreichen Krisen in den vergangenen Jahren in der hiesigen Polizei erscheint eine rechtsstaatlich begründete Ausbildung von Polizist*innen derzeit wichtiger denn je. Die Schließung des Masterstudienganges „Internationale Kriminologie“ würde dementsprechend nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftspolitisch einen erheblichen Verlust darstellen, denn neben der Polizeiausbildung sind Absolvent*innen des Studienganges zahlreich in Politik, Forschung, Justiz und NGOs tätig.
Wir, die Herausgeber*innen des Kriminologischen Journals, fordern daher, dass der Studiengang „Internationale Kriminologie“ erhalten bleibt und die personellen Ressourcen des Studiengangs so aufgestockt werden, dass eine langfristige Durchführung des Studiengangs gewährleistet ist.
Unterzeichner*innen
Prof. Dr. Martina Althoff, Rijksuniversiteit Groningen
Prof. Dr. Bernd Belina, Goethe Universität Frankfurt
Prof. Dr. (em.) Helga Cremer-Schäfer, Goethe Universität Frankfurt
PD Dr. Michael Dellwing, Leuphana Universität Lüneburg
Prof. Dr. Bernd Dollinger, Universität Siegen
Dr. Simon Egbert, Universität Bielefeld
Prof. Dr. Walter Fuchs, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Prof. Dr. Christine Graebsch, Fachhochschule Dortmund
Prof. Dr. Daniela Klimke, Polizeiakademie Niedersachsen
PD Dr. Reinhard Kreissl, Vienna Centre for Societal Security (VICESSE)
Prof. Dr. Andrea Kretschmann, Leuphana Universität Lüneburg
Dirk Lampe, M.A., Deutsches Jugendinstitut München
Dr. Aldo Legnaro, Freier Sozialwissenschaftler Köln
Prof. Dr. Birgit Menzel, HAW Hamburg
Jun.-Prof.’in Dr. Dörte Negnal, Universität Siegen
Dr. Lars Ostermeier, Freie Universität Berlin
Dr. Bettina Paul, Universität Hamburg
Prof. Dr. (em.) Helge Peters, Universität Oldenburg
Prof. Dr. Jens Puschke, Philipps-Universität Marburg
Prof. Dr. Dorothea Rzepka, Ev. Hochschule Darmstadt
Prof. Dr. (em.) Fritz Sack, Universität Hamburg
Dr. Christina Schlepper, Landeskriminalamt Bremen
Vertret.-Prof. Dr. Holger Schmidt, Technische Universität Dortmund
Prof. Dr. Henning Schmidt-Semisch, Universität Bremen
Prof. Dr. Tobias Singelnstein, Ruhr-Universität Bochum
Seniorprofessor Dr. Johannes Stehr, Ev. Hochschule Darmstadt
Prof. Dr. Gabi Temme, Hochschule Düsseldorf
Dr. Katja Thane, Universität Bremen
Dr. Meropi Tzanetakis, Universität Innsbruck
Prof. Dr. Jan Wehrheim, Universität Duisburg-Essen
Dr. Bernd Werse, Goethe Universität Frankfurt
Institutionelle Mitglieder:
Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie, Universität Innsbruck (IRKS)
Vienna Center for Societal Security (VICESSE)