Sehr geehrter Herr Bundesjustizminister,

der Referentenentwurf Ihres Ministeriums versucht die Ersatzfreiheitsstrafe durch Halbierung der Aufenthaltsdauer zu erhalten.

Damit kommt er den zahlungsfähigen Geldstrafen-Schuldnern entgegen, indem er ihnen die Wahl lässt zwischen voller Zahlung und halber Ersatzfreiheitsstrafe. Die Zahlungsunfähigen haben keine Wahl und sie werden wie bisher in hoher Zahl zum Strafantritt geladen werden und weiterhin den Vollzug belasten.

Die Zahlungsfähigen sollte man stattdessen der zivilrechtlichen Zwangs- vollstreckung überlassen (einschließlich einer möglichen Erzwingungshaft).
Die Nicht-Zahlungsfähigen sind hingegen ein soziales Problem, welches man nicht mit den Mitteln des Strafrechts lösen kann.

Deshalb sollte die verfehlte Ersatzfreiheitsstrafe entweder de jure oder de facto beseitigt werden. Entweder müsste der § 43 StGB ersatzlos gestrichen werden oder man müsste dem schwedischen Modell endlich auch in der Praxis folgen. Wer immer noch glaubt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe „das Rückgrat der Geldstrafe“ darstellt und deshalb nicht beseitigt werden darf, sollte diese Alltagstheorie endlich durch einen Modellversuch prüfen lassen.

In letzter Zeit haben Sie, sehr geehrter Herr Minister, immer wieder in den Medien die Meinung geäußert, Schweden habe die bisherige Regelung rückgängig gemacht. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Die im Januar 2021 in Kraft getretene Gesetzesänderung zielt explizit auf die Zahlungsfähigen aber Zahlungsunwilligen ab und sieht weiterhin bei Zahlungsunfähigkeit von Ersatzfreiheitsstrafe ab. Es wurden lediglich geringfügige Änderungen vorgenommen. Die Statistik beweist das:

Von Januar 2017-September 2022 (d. h. teilw. nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes) wurde nur in 47 Fällen ein Gericht damit beauftragt, eine mögliche EFS zu prüfen.

Wir unterstützen daher den entsprechenden Vorschlag des Netzwerks Abolitionismus, den wir zu Ihrer Information beifügen.

Dr. Nicole Bögelein, Dipl.-Soz (Universität Köln)
Prof. i.R. Dr. Lorenz Böllinger (Universität Bremen)
(Vertr.-) Prof. Dr. Sven-Uwe Burkhardt (Fachhochschule Dortmund)
Prof. i.R. Dr. Johannes Feest (Universität Bremen)
Prof. Dr. Christian Ghanem (Technische Hochschule Nürnberg)
Prof. Dr. Brigitta Goldberg (Ev. Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum) Prof. Dr. Christine Graebsch (Fachhochschule Dortmund)
Prof. Dr. Elisa Hoven (Universität Leipzig)
Prof. Gabriele Kawamura-Reindl (Techn. Hochschule Nürnberg)
Prof. Dr. Michael Lindenberg (Ev. FHS für Soziale Arbeit, Hamburg)
Prof. Dr. Henning Ernst Müller (Universität Regensburg)
Prof. Dr. Helmut Pollähne (Universität Bremen)
Prof. i.R. Dr. Stephan Quensel (Universität Bremen)
Prof. i.R. Dr. Sebastian Scheerer (Universität Hamburg)
Prof. Dr. Henning Schmidt-Semisch (Universität Bremen)
Prof. em. Dr. Fritz Sack (Universität Hamburg)
Prof. Dr. Heino Stöver (University of Applied Science, Frankfurt)
Prof. Dr. Thomas Trenczek (Ernst-Abbe-Hochschule Jena)

03.08.2022   PDF der Stellungnahme: Stellungnahme zu RefE EFS