Am 08. August 2022 kauerte Mouhamed Dramé im Innenhof einer Jugendeinrichtung in Dortmund an einer Wand und drohte, sich mit einem gegen seinen Bauch gerichteten Küchenmesser selbst zu verletzen. Um dies zu verhindert, wurde er von den zahlreichen Polizeikräften vor Ort erst mit Pfefferspray besprüht, sodann mit Tasern beschossen und, weil er sich schließlich aufrichtete und nach vorn bewegte, schließlich mit einer Maschinenpistole erschossen. Fünf Polizeibeamt:innen wurden anschließend für ihr Einsatzverhalten u.a. wegen Totschlags angeklagt.
Am 12.12.2024 ist am LG Dortmund der Strafprozess gegen die Polizist:innen zu ende gegangen, alle fünf wurden vollumfänglich freigesprochen (LTO Bericht: Urt. v. 12.12.2024, Az. 39 Ks 6/23, // Neues Deutschland: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187490.mouhamed-drame-drame-prozess-polizisten-gehen-straflos-aus-dem-gericht.html).
An dieser Stelle veröffentlichen wir das bemerkenswerte Plädoyer der Nebenklagevertreterin Lisa Grüter, das am vorletzten Prozesstag vorgetragen wurde. Ihr Plädoyer hinterfragt nicht nur die Notwehrbehauptungen der Angeklagten, sondern sie führt zum Ende des Prozesses erneut den Aspekt des strukturellen Rassismus in den Gerichtssaal ein, von dem das Gericht, die Angeklagten und selbst die Staatsanwaltschaft noch immer keinen Begriff zu haben scheinen.
Auf der Internetseite des freien Radio-Projektes „Radio-Nordpol“ sowie über den Streaming Dienst Spotify ist das Plädoyer übrigens auch zu hören.
(Anm.: Lisa Grüter hat in der Vergangenheit einige Zeit ehrenamtlich in der Rechtsberatung des Strafvollzugsarchivs mitgearbeitet)
Das Plädoyer der Nebenklagevertreterin Lisa Grüter im „Mouhamed Prozess“ (Urt. v. 12.12.2024, Az. 39 Ks 6/23)
Mouhamed Dramé hat, so wie viele andere junge Menschen aus dem Senegal und anderen von Armut und Perspektivlosigkeit betroffenen Ländern auch entschieden, seine Heimat und seine Familie zu verlassen, um in Europa eine Chance auf ein besseres Leben zu haben. Alles, was für uns hier selbstverständlich ist und uns quasi vor die Füße geworfen wird, ist es für Familie Dramé und unzählige andere Familien nicht. Eine gute Schulbildung, Förderung von individuellen Talenten, medizinische Versorgung. Dass ein junger Mensch dort wegwill, dorthin, wo das alles auf der Straße zu liegen scheint, ist mehr als verständlich. Wir haben alle nicht durch eigene Leistung dazu beigetragen, mit unserer Staatsbürgerschaft und in Europa geboren zu werden. Wer unter diesen Umständen die Geschichten verurteilt, die Mouhamed gewählt hat, um diesem Ziel ein bisschen näher zu kommen, der sollte sich fragen, was er oder sie bereit wäre, zu tun, um seinen Kindern die Chance auf ein besseres Leben zu ermöglichen.
Warum etwa der Dolmetscher, als letzter Zeuge, mit dem Mouhamed vor seinem Tod eine Sprache geteilt hat, hier abgewürgt wurde, nachdem er die falschen Fakten, die Mouhamed zu seiner Biografie angegeben hat reproduziert hatte, kann ich wirklich nicht verstehen. Zeit und Raum, um zu berichten, wie sehr Mouhamed seine Mama – ob nun tot oder lebend- vermisste und wie tieftraurig er war, wurde ihm nicht eingeräumt.
So bleibt das schale Gefühl, es mit einem Lügner zu tun zu haben.
Für die Schuld- und Rechtsfolgen der Angeklagten hat streng genommen beides keine Bedeutung. Daran kann es nicht gelegen haben.
Mouhamed hat eine weite und gefährliche Reise auf sich genommen, die ihn nach allem was wir wissen, schwer traumatisiert hat. Er hat alles versucht, seine Familie nicht merken zu lassen, wie schlecht es ihm ging, wie einsam er war. Ein Scheitern einzugestehen, kam nicht in Frage nach allem, was er auf sich genommen hatte. Auf ihm lasteten tonnenschwere Erwartungen.
Mohamed muss größte seelische Not gehabt haben. Auf ihm lastete die Erwartung, glücklich und erfolgreich in Deutschland zu sein. Er hatte es in die Stadt seiner Träume geschafft, ganz nah zum BVB. Gleichzeitig schafft er es allein nicht, mit den Dämonen seiner Flucht fertig zu werden. Um ihn herum sprach niemand seine Sprache. Niedrigschwellige, kurzfristige entlastende Gespräche waren unter diesen Umständen so gut wie unmöglich. Aber er hat sich Hilfe gesucht. Er ist auf die Polizeiwache Nord gegangen. Und hat dort um Hilfe gebeten und sie im ersten Anlauf auch erhalten.
Er wurde in die LWL-Klinik eingeliefert und konnte sich dort glaubhaft von seinen Suizidgedanken distanzieren. Er hatte Pläne. Kurzfristige und langfristige. Das sind die Standards, mit denen in der Akutpsychiatrie in kurzer Zeit entschieden werden muss, wer eines der wertvollen Betten bekommt und in wessen Freiheitsrechte eingegriffen werden darf. Er kam dann zurück in eine Einrichtung, in der niemand seine Sprache teilte. Es wäre schön, wenn das nicht so wäre, ist aber leider auch das, womit die Soziale Arbeit irgendwie wirtschaften muss. Es wäre schön, wenn man dort sofort Personal und Mittel gehabt hätte, sich intensiv mit Mouhamed zu beschäftigen, mit ihm zu sprechen, ihn 1:1 zu betreuen. Das war es aber nicht und so bot sich am 8.8.22 als die BeamtInnen am Einsatzort eintrafen folgendes Bild:
Mouhamed hockte an die Kirchenmauer gelehnt in einer Nische im Garten der Kirche. Vor sich ein hoher Metallzaun mit Spitzen obendrauf, links von ihm und in seinem Rücken die Kirchenmauern und rechts der Weg in den ebenfalls eingezäunten Innenhof.
Sein Oberkörper war unbekleidet, sein T-Shirt hatte er um den Kopf gewickelt. „Free Hugs to safe the world“ stand darauf.
Er hielt sich ein Küchenmesser an den Bauch.
Diese Situation war statisch. Zwischen dem Notruf und der Entscheidung, Pfefferspray einzusetzen waren 20 Minuten vergangen, in denen keine relevante Änderung in Mouhameds Verhalten beschrieben wird. 20 Minuten, in denen er weiterhin still dort sitzt und keinerlei Reaktion auf Anspracheversuche zeigt. Diese Zeit wurde nicht genutzt, einen Dolmetscher zu organisieren, den Sozialpsychiatrischen Dienst, einen Hund, Stichsichere Westen, Schilde, oder ein SEK. Es wurde nicht einmal versucht, oder auch nur in Erwägung gezogen.
Stattdessen wurden die verbalen Kontaktaufnahmeversuche durch Herrn F-1 auf Anweisung von Herrn H-1 abgebrochen, um das Pfefferspray einzusetzen. Der Zeuge schätzt, es seien 5-6 Minuten zwischen seinem ersten Ansprechen und den Schüssen vergangen. 5 Minuten in denen er sich zu Mouhamed heruntergebeugt hat, um mit ihm in Kontakt zu treten, in denen er vor Mouhamed her in die Sackgasse hinein gelaufen ist, um eine bessere Sicht auf ihn zu haben, in denen er auch nach Ansicht seiner Kollegen den standardmäßig erforderlichen Sicherheitsabstand zu einem Menschen mit Messer deutlich unterschritten hatte, ohne dass dies etwas an Mouhameds Verhalten geändert hätte. In dem er ihm auf dem Rückweg sogar den Rücken zugedreht hatte. Subjektiv scheint hier niemand akut eine von Mouhamed ausgehende konkrete Gefahr gesehen zu haben. Objektiv bestand diese auch nicht.
5 Minuten hat man dem Zeugen Zeit gelassen, zu versuchen, mit Mouhamed zu reden. Einem Menschen, der sich in einem psychischen Ausnahmezustand befand und zu dem eine Sprachbarriere bestand. Wenige Minuten, um zu versuchen, durch ein Gespräch, oder Gesten ein Leben zu retten, ohne dabei Gewalt anzuwenden. Er hat es hier nicht explizit ausgesprochen, aber ich hatte den Eindruck, dass er selbst nicht glücklich damit war. **
Während Mouhamed dort unverändert saß und für niemanden eine akute Gefahr darstellte, war die Entscheidung getroffen worden, eine Maschinenpistole aus dem eigens gesicherten Fach im Streifenwagen zu entnehmen und einen Beamten als sogenannten Sicherungsschützen aufzustellen. „Du bist der Last man standing“, so schildert es uns Herr P-2.
Westernrhetorik statt sensibler Umgang mit einem Menschen in größter Not.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass Herr P-2 diese markante Formulierung richtig gehört und erinnert hat. Wir kennen die Funksprüche in Bezug auf das Pfefferspray. Es ist alles andere als abwegig, dass hier derartige Formulierungen gewählt wurden.
Und ebenso wenig lebensfremd, dass von Seiten der Polizei sich niemand daran erinnern will.
Zudem wurde entschieden, zwei Beamtinnen mit Tasern auszurüsten und eine Beamtin mit einem großen Pfefferspraylöscher.
Bei der Aufstellung wählten Herr H-1 und Frau B-2 einen Platz, der sich vermutlich etwa 3 Meter von Mouhamed entfernt befand. Herr S-1 einen Platz, höchstens 8 Meter von Mouhamed entfernt.
Damit unterschritten sie selbst ohne jede Not jeglichen Sicherheitsabstand zu dem Messer, der zugleich ständig gepredigt wird und stellten selbst eine Situation her, in der Mouhamed sich mit wenigen Schritten in die einzige verbleibende Fluchtrichtung in eine Nähe brachte, die wenig später der Anlass sein sollte, ihn zu erschießen.
Herr H-1 wählte sodann mit dem Pfefferspray ein Mittel aus, dessen Wirksamkeit und Wirkungsweise keineswegs sicher und erwiesen ist. Wir haben vom Zeugen B-4 vom L-1 gehört, dass es verschiedenste Reaktionen auf Pfefferspray gibt und dass es durchaus auch so gelehrt wird, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass der Einsatz automatisch die gewünschte Wirkung zeigt.
Wir haben auch im letzten Termin noch einmal von Herrn H-2 gehört, dass die von ihm so benannte „Eigensicherungsfibel“ davor warnt, dass „Personen in diesem Zustand“ (gemeint sind Personen in psychischen Ausnahmezuständen) schmerzunempfindlich sein könne, nicht auf Reizstoffe reagieren und unerwartete Kräfte entwickeln können.
Dass Herr H-1 selbst von der Wirksamkeit tatsächlich nicht ganz so überzeugt war, wie er es uns hier auf Grundlage seiner nicht näher belegten mannigfaltigen positiven Erfahrungen mit Pfefferspray gegen suizidale Personen berichtet, belegt ja schon die Aufstellung eines mit einer MP5 ausgestatteten Sicherungsschützen.
Selbst wenn man das als reine Eigensicherung durchgehen lassen will, zeigt doch der Umstand, dass es überhaupt keine konkreten Pläne und Absprachen gegeben hat, wie denn verfahren werden soll, wenn Mouhamed wie angeblich erwartet, das Messer fallen lässt, dass dieser Ausgang keineswegs für wahrscheinlich gehalten wurde.
Wer wäre dann dafür verantwortlich, dieses Messer zu sichern? Wer führt die Fixierung durch? Schon eigenartig, dass für den Fall einer Eskalation der Ereignisse alles vorgesprochen und geplant ist, klare Rollen in dem achtköpfigen Team verteilt wurden, jedoch nicht für den angeblich so naheliegender Fall, dass der Einsatz des Pfeffersprays dazu führt, dass Mouhamed das Messer fallen lässt, weil er sich die Augen reibt. Auch dann hätte ja unverzüglicher Handlungsbedarf bestanden, weil die angenommene Gefahr damit nicht beseitigt war.
Herr H-1 entschied dann auch, dass dieses Zwangsmittel ohne Ankündigung eingesetzt werden soll. Frau B-3 hat dies ohne es zu hinterfragen umgesetzt. Ohne dass Mouhamed einmal ausdrücklich von den eingesetzten Beamten gehört hat, welches Verhalten von ihm erwartet wird, um nicht mit Pfefferspray eingenebelt und in Folge von Tasern und einer Maschinenpistole beschossen zu werden.
Es hätte die Möglichkeit bestanden, diese einfache Aufforderung in den bekannten Sprachen auszusprechen. Die Lage war seit mindestens 20 Minuten statisch. „Messer wegwerfen, oder wir werden Pfefferspray einsetzen“ auf Französisch oder spanisch, notfalls übersetzt mit Google Translate wäre definitiv drin gewesen.
Das ist auch nicht dadurch zu ersetzen, dass Mouhamed hätte erkennen können, dass er es mit Polizisten zu tun hatte. Die bloße Anwesenheit von Polizisten ersetzt doch nicht die Androhung zum Einsatz eines Zwangsmittels.
Stattdessen kam die Anweisung: „Vorrücken und einpfeffern. Das volle Programm. Die ganze Flasche.“ „Ich wiederhole! Vorrücken schlagartig und den Mann einpfeffern. Das volle Programm aus der großen Flasche!“
Und genau so wurde es von Frau B-3 auch umgesetzt.
Nachdem Mouhamed vom Pfefferspray getroffen worden war, erhob er sich und lief auf die Beamten zu.
Weil es sich dabei um den einzigen freien Fluchtweg aus dem Einflussbereich des Pfeffersprays heraus handelte!
Dass hier von einigen Angeklagten angedeutet wurde, er hätte ja auch in die Ecke laufen, oder den Zaun überwinden können, halte ich schon für regelrecht zynisch, wenn man bedenkt, dass hier ein junger Mensch in einer psychischen Ausnahmesituation aus dem Hinterhalt heraus ohne Vorwarnung mit Pfefferspray angegriffen wird und einfach reflexhaft versucht zu flüchten.
Seine bis dahin gezeigte Passivität schlug erst durch den Einsatz des Pfeffersprays um.
Ob er nun ging, schnellen Schrittes ging, lief, oder gar rannte werden wir nicht mehr klären können. Wir haben jede erdenkliche Formulierung dafür gehört.
Dass er letztlich so schnell bei den ersten BeamtInnen war und Herr S-1 subjektiv den Moment gekommen sah, wegen dem er als Sicherungsschütze eingeteilt war, war einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass Entscheidungen getroffen worden waren, sich so nah zu positionieren.
Der Ausbilder hat uns hier erklärt, dass die Lehre eigentlich ist, bei einem Pfeffersprayeinsatz, der nicht die gewünschte Wirkung zeigt auszuweichen, eine Meidebewegung einzuplanen, sofern es die Verhältnisse zulassen. Hier stellt man sich dem Betroffenen direkt in den Weg. Räumlich hätte ja sogar die Möglichkeit bestanden, die Nische in der Mouhamed saß etwa mit einem Fahrzeug zu verschließen. Auch hätte die Möglichkeit bestanden, jegliche Mittel ausschließlich durch den Zaun hindurch einzusetzen. Am besten natürlich das Mittel Zeit und Ruhe und Gespräche.
Durch die Lehrenden haben wir immer wieder gehört, dass eine Lage nach Möglichkeit statisch gehalten werden soll, dass sie stationär gehalten werden soll.
Dass die Androhung mit Ausnahme von unmittelbar bevorstehenden Angriffen obligatorisch ist.
Das erfordert nicht nur die Polizeitaktik, sondern auch das Polizeirecht und vor allem auch das Grundgesetzt.
Denn die Androhung vor Einsatz eines polizeilichen Zwangsmittels ist keine reine Formalität. Es ist eine wesentliche Verfahrensvorschrift. Es ist das Mittel das dem Betroffenen die Möglichkeit geben soll, sein Verhalten zu ändern, um den Einsatz von Gewalt und dem Eingriff in seine Rechte zuvorzukommen. Einem Menschen zu ermöglichen, mitzuwirken, um den Zwang abzuwenden ist der Weg, ihn nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden zu lassen. Seine Subjektstellung sicherzustellen.
Hiervon hat Herr H-1 abgesehen. Frau B-3 hat es nicht hinterfragt.
Und dann wurde durch den Pfeffersprayeinsatz eine statische, stationäre Lage zu einer dynamischen, mobilen.
Von einem unmittelbar bevorstehenden Angriff kann durch den seit 20 Minuten im Beisein der Polizei am Boden hockenden Mouhamed nun wirklich keine Rede sein.
Herr H-1 berichtet hier in der Hauptverhandlung sogar davon, dass Herr P-2 ihm damals gesagt habe, dass die Mitarbeiter der Einrichtung schon ½ Stunde lang erfolglos versucht hätten, Kontakt zu Mouhamed aufzunehmen. Dann wären wir zu diesem Zeitpunkt in H-1s Vorstellungen sogar bei etwa 50 Minuten.
Ebensowenig kann davon die Rede sein, dass eine sprunghafte Änderung seines erstarrten Verhaltens unmittelbar bevorstand und es erforderlich war, ihn von einer akuten Selbstverletzung abzuhalten.
Es ist eher davon auszugehen, dass wie es der Zeuge F-1 beschrieb ein Gefühl der Ratlosigkeit herrschte. Da reagiert ein Mensch einfach gar nicht auf Ansprache. Das scheint eine große Hilflosigkeit, Unverständnis, vielleicht sogar Wut über diese empfundene Respektlosigkeit und den damit einhergehenden Autoritätsverlust erzeugt zu haben.
Der Angeklagte B-1 äußerte hier durchaus aufschlussreich sinngemäß: „Der hatte keinen Bock auf Polizei, er wollte einfach machen was er wollte.“
Um zu erkennen, dass Mouhamed sich hier in einem Zustand befunden hat, der weit entfernt von „wollen“ war, muss man kein Psychiater sein. Ein bisschen Empathie reicht.
Diese Lage und Situation sollte nun umgehend beendet werden. Und aus dieser Motivation heraus wurde durch Herrn H-1 die Entscheidung getroffen, ohne Androhung Pfefferspray einzusetzen. Durch Frau B-3 wurde dies umgesetzt.
Frau B-3 hatte zunächst keine freie Sicht auf die Situation. Sie hat zuerst von ihrem Standort hinter dem Stromkasten aus nichts gesehen. Dann hat sie sich an den Zaun heranbewegt, vor dem jedoch auch Buschwerk stand und von H-1 angezeigt bekommen, wo sich Mouhamed befand. Sie gibt an, sie habe weder das Messer selbst gesehen, noch sei ihr klar gewesen, dass Mouhamed sich in einer Sackgasse befand. Auch der Standort ihrer Kollegen war ihr nicht bekannt. Sie habe aber gesehen, dass er eingeknickt in den Knien hockte und nach unten schaute.
Sie hat zuerst den Funkspruch nicht richtig verstanden, nachgefragt und sodann erneut die Aufforderung „vorrücken und die Person einpfeffern“ erhalten.
Dass sie auch ausdrücklich dazu aufgefordert worden sei, dies ohne vorherige Androhung zu tun, berichtet sie grade nicht. Sie habe es daraus geschlossen, dass der Einsatz von Pfefferspray schlagartig habe erfolgen sollen, damit Mouhamed sich an die Augen fasst und das Messer fallen lässt.
Herr H-1 hat uns hier in der Hauptverhandlung erstmals berichtet, dass Mouhamed mit der Hand den Griff des Messers nachjustiert haben soll. Er habe das Messer ein Stück abgesenkt und dann wieder angehoben. Hieraus habe er geschlossen, dass der Zugriff dringlich sei.
Das ist eine neue Information, die mit Ausnahme von dem Zeugen R-1 von niemandem, der an dem Einsatz beteiligten Beamten berichtet wurde. Und das, obgleich nach Angaben des Herrn H-1 hier in der Hauptverhandlung alle im Innenhof anwesenden KollegInnen außer Herrn P-1 und Frau K-1 freie Sicht auf ihn hatten.
Herr R-1 berichtet, Mouhamed habe das Messer 2, 3 Mal nachgefasst. Er habe die Finger gelockert, bis das Messer fast rausgefallen sei, dann habe er die Hand wieder geschlossen. Er habe es als Zeichen gedeutet, dass Mouhamed mitbekommt, was um ihn herum geschieht. Befragt, ob es auch ein Zeichen von Apathie gewesen sein könne, gibt er an, dies nicht zu wissen, es sei aber möglich.
Ich gehe nicht davon aus, dass auf dieser Grundlage ein Verhalten von Mouhamed festgestellt werden kann, das zu einem unmittelbaren Eingreifen zwang. Ich gehe auch nichts davon aus, dass eine solche kleine Bewegung des Nachjustierens, oder „kippelns“ (So R-1) mit der Hand aus einer statischen Situation eine dynamische machen und auf einen unmittelbar bevorstehenden Angriff oder akut drohende Eigengefährdung hindeuten könnte, der wiederum den androhungslosen Einsatz von Pfefferspray rechtfertigen könnte.
Nach alledem war es rechtswidrig, Mouhamed mit Pfefferspray anzugreifen, bzw. Dies anzuordnen. Insbesondere, dies ohne vorherige Aufforderung, welches Verhalten von ihm erwartet wird und Androhung des Zwangsmitteleinsatzes zu tun.
Herr H-1 fragte hier in der Hauptverhandlung patzig: „Sollen wir warten, bis er sich mit dem Messer umbringt und 12 Beamte stehen daneben?“
Ja, aus meiner Sicht wäre es eine Option gewesen, erst einmal weiter abzuwarten und keine Zwangsmittel einzusetzen, während Mouhamed dort unverändert statisch saß. Er hat sich ja grade nicht mit dem Messer umgebracht und es mehr als eine halbe Stunde lang nicht einmal versucht, was man an seinem nackten Oberkörper auch jederzeit sehen konnte. Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten wäre es die einzig richtige Lösung gewesen.
Von Mouhamed Drame ging zu keinem Zeitpunkt ein Angriff oder eine tatsächliche Gefahr aus.
Als er sich erhob und mit dem Messer in der Hand in Richtung des Innenhofs lief- in den Lauf der MP5 hinein, handelte es sich um eine Fluchtbewegung. Mouhamed wurde regelrecht in das Schussfeld hineingetrieben.
Vielleicht konnte er das Messer nicht fallen lassen, weil er vor Panik oder Schmerz verkrampft war.
Für Familie Dramé ist diese Feststellung fast das Wichtigste. Dass ihrem Sohn und Bruder durch die Polizei in der Öffentlichkeit vorgeworfen wurde, er habe Polizisten mit einem Messer angegriffen, war für sie kaum zu ertragen.
Und insofern fehlt in ihrer Aufzählung ganz am Anfang ihres Schlussvortrages Herr Dombert, ein politischer Akteur in der Öffentlichkeit, der ebenfalls ohne jedes Hintergrundwissen und Aktenkenntnis alles ganz genau wusste und bereits ein Narrativ gezeichnet hatte, das den Einsatz legitimieren sollte: Die Polizei und das Innenministerium. Die erste Veröffentlichung stammte damals von der Polizei.
8.8.22 18.44h auf dem offiziellen Twitter Account der Polizei Dortmund: „Nach ersten Erkenntnisse kam es gegen 16.25 Uhr zu einem Polizeieinsatz. Im Laufe des Einsatzes griff ein 16- jähriger junger Mann die Polizisten mit einem Messer an.“
Zu diesem Zeitpunkt war Mouhamed keine 45 Minuten tot.
10 Tage später, am 18.8.22 sagte Herbert Reul, Innenminister (CDU) NRW, in einem Interview: „Dieser psychiatrisch offensichtlich kranke Mensch stürmt auf die Polizisten mit dem Messer und dann – so ist meine heutige Informationslage – schießt der, der dafür vorgesehen ist, und rettet den Polizisten. Und in der Situation ging es um die Frage, sticht der zu oder schießt die Polizei?“
Daraufhin wird er später von einer Reporterin des Magazins Monitor gefragt: „Haben Sie das zu früh als gegeben hingenommen?“
Woraufhin Reul sagt: „Ich habe schlicht und einfach damals die Informationen, die die Polizei gegeben hat, auch öffentlich zugänglich gemacht. Und nicht mehr, und nicht weniger.“
Die Reporterin fragt abschließend: „Braucht es denn nicht auch als Innenminister eine kritische Distanz zu subjektiven Polizeiinformationen?“
Diese höchst subjektive Polizeiinformation hat sich offensichtlich nicht bestätigt und der Familie großen emotionalen Schaden zugefügt.
Auf einen weiteren Punkt aus ihrem Plädoyer möchte ich kurz eingehen, Herr Dombert, bevor ich zur rechtlichen Würdigung komme.
Es war ihnen wichtig festzustellen, dass hier Rassismus keine Rolle gespielt habe.
Das ist jedoch nur auf den ersten Blick der Fall, wenn man von einer sehr vereinfachten Definition von Rassismus ausgeht, was dem Stand der Rassismusforschung nicht gerecht wird. Ich stimme ihnen zu: Keinem der hier Angeklagten kann hier persönlich nachgesagt werden, dass sie explizit rassistische Ansichten vertreten, sich in rechten Chatgruppen aufhalten, oder gar morgens aufgestanden sind und sich vorgenommen haben, heute einen schwarzen Menschen zu misshandeln.
Aber wir haben hier viel von polizeilichem Erfahrungswissen, Gefahrenradaren, Gefahrenprognosen etc. gehört. Wir müssen uns mit einer umfangreichen Irrtumsproblematik auseinandersetzen.
Und dabei kommen wir nicht drumherum, anzuerkennen, dass rassistische Stereotype unser aller Denken und Handeln und damit auch das Handeln der Polizei bestimmen können.
Wir kommen auch nicht drumherum anzuerkennen, dass seriöse Studien sowohl in den USA, als auch in Deutschland die sog. Shooter Bias belegen. Dort mussten in simulierten Gefahrensituationen Polizisten in Sekundenbruchteilen anhand eines Fotos ihres Gegenübers entscheiden, ob sie schießen. Die Studien kamen zu dem Ergebnis, dass bei Schwarzen oder arabisch aussehenden Personen die Entscheidung signifikant häufiger fürs Schießen ausfiel als bei Weißen.
Dabei muss es nicht zwingend um bewusste Vorbehalte gehen. Das kann ganz unbewusst ablaufen, indem wir uns grade in Stresssituationen von Stereotypen leiten lassen. Und dass das Stereotyp „schwarzer oder arabischer Messertäter“ in der Öffentlichkeit mit Vorliebe geschürt wird, kann niemand abstreiten.
Es beobachten und begleiten Menschen diesen Prozess, die von Rassismus und Racial Profiling ganz konkret betroffen sind und deren Erfahrungen und Ängsten werden wir nicht gerecht, wenn wir lapidar feststellen, dass keiner der Angeklagten in einer rechten Chatgruppe war, oder offen rassistische Sprüche gepostet hat, weswegen eine rassistische Dimension abwegig sei.
Die Frage, ob die Situation ausgegangen wäre, wenn der weiße Leon im Garten seines Elternhauses in der Dortmunder Südstadt mit einem Messer gehockt hätte, stellt sich mir noch immer und muss erlaubt sein.
Sonst können auch keine Lehren aus dem Fall gezogen werden.
Der Angeklagte H-1 hat sich, indem er gegenüber der Angeklagten B-3 die Anordnung zum Einsatz des Pfeffersprays erteilte, der Verleitung einer Untergebenen zu einer Straftat nach § 357 Abs.1 StGB strafbar gemacht.
Die Voraussetzung, unter denen nach dem Polizeirecht Zwangsmittel ausnahmsweise auch ohne vorherigen Verwaltungsakt und Androhung eingesetzt werden dürfen, §§ 50 Abs.2, 56 Abs.1 S.2 PolG NRW lagen hier nicht vor.
Es ist nicht im Ansatz erkennbar, warum es hier erforderlich gewesen sein sollte, auf die Aufforderung, dass Messer fallen zu lassen, verbunden mit der Androhung, andernfalls Pfefferspray einsetzen zu wollen, zu verzichten und Mouhamed die Chance zu verwehren, sein Verhalten anzupassen.
Insofern hat der Einsatzleiter H-1 durch den Befehl, das Pfefferspray einzusetzen, die Angeklagte B-3 zu einer rechtswidrigen Handlung verleitet.
Er hat sich weiterhin der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht. Der Fahrlässigkeitsvorwurf knüpft hier daran an, wie er diesen Einsatz geplant, angeordnet und durchgeführt hat.
Diese Einsatzplanung stellt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung dar, die subjektiv vermeidbar war. Mouhameds Tod ist Herrn H-1 demzufolge objektiv zurechenbar.
Es war eine sehr naheliegende Möglichkeit, dass Mouhamed dem Pfefferspray würde ausweichen wollen, zumal der Pfeffersprayeinsatz so wie ihn der Angeklagte H-1 angeordnet hat kaum erfolgsversprechend war. Das Pfefferspray wurde von der Angeklagten B-3 durch Zaun und Gebüsch eingesetzt, Mouhamed stand ihr gebeugt mit gesenktem Blick gegenüber.
Es war von vornherein erkennbar, dass ein Wirkungstreffer zu den Schleimhäuten bzw. der Augenpartie so unmöglich sein würde.
Das steigert sogar noch die Gefahr einer völlig unkontrollierten Reaktion des Gegenübers.
Es war weiterhin vorhersehbar, dass eine etwaige Ausweichbewegung Mouhameds sich in die einzige mögliche Richtung wenden würde, in Richtung der Beamten im Innenhof auf die Maschinenpistole zu.
Aufgrund der bewusst gewählten Aufstellung im Innenhof und der damit einhergehenden geringsten Abstände, war vorhersehbar, dass Mouhamed sich nur wenige Schritte nach rechts bewegen muss, um vor den ersten Beamten zu stehen und damit wiederum die weitere Kaskade an Waffeneinsatz auszulösen.
Der Taser von Frau B-2 war für den Einsatz in einer dynamischen Lage nach den entsprechenden Richtlinien gerade nicht geeignet und damit von vornherein kein adäquater Plan B nach Misslingen des Pfeffersprayeinsatzes.
Damit hat Herr H-1 nicht nur die Verantwortung für Mouhamed, dessen Leib und Leben er hier zu schützen verpflichtet gewesen wäre, sondern auch die Verantwortung für seine Untergebenen, den Einsatz so zu planen, dass die Gefahr für sie möglichst minimiert verletzt.
So wie der Angeklagte den Einsatz geplant hat bestand von vornherein die realistische Möglichkeit, dass Mouhamed das Messer nicht einfach unmittelbar fallen lässt, sondern sich eine unkontrollierbare, dynamische und gefährliche Lage ergibt, die in tödlicher Gewaltanwendung münden wird. Durch die Aufstellung eines extra ausgerüsteten Sicherungsschützen macht H-1 deutlich, dass er dieses Szenario als naheliegend eingeschätzt hat.
Betrachtet man die Wahl der Waffe ganz nüchtern technisch, war die Entscheidung für die MP5 sicherlich vertretbar. Gleichzeitig bleibt es eine martialische Waffe, die in NRW ausdrücklich für den Terroreinsatz angeschafft und beworben wurde. Ihr Einsatz trägt mit Sicherheit nicht dazu bei, eine Situation weniger bedrohlich aussehen zu lassen und zu deeskalieren. Auch spricht die vorherige Wahl dieser Waffe dafür, dass die Zeit bestanden hat, sich über die Notwendigkeit des Einsatzes dieser präziseren Waffe Gedanken zu machen, sie aus einem eigenes gesicherten Fach im Streifenwagen zu nehmen und den Sicherungsschützen aufzustellen.
Viele Gedanken und viel Zeit in einer angeblich ausweglosen, zeitkritischen Situation, die mit dem vielfach erprobten, erfolgsversprechenden Einsatz von Pfefferspray angeblich ganz einfach zu lösen sein würde.
Die Möglichkeit, die Waffe zu ziehen und einzusetzen besteht schließlich für jeden Beamten zu jeder Zeit in kürzester Zeit.
Die sodann von seinen Untergebenen angewandte Gewalt, sowie der tödliche Ausgang sind dem Angeklagten H-1 daher zuzurechnen, unabhängig davon, ob deren Verhalten für gerechtfertigt gehalten wird, oder nicht.
Als Nebenklagervertreterin enthalte ich mich grundsätzlich
eines konkreten Strafantrages. Daran möchte ich auch heute nichts ändern.
Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass eine Haftstrafe, die 2 Monate unter der Grenze bleibt, bei der Herr H-1 einen Verlust des Beamtenstatusses zu erwarten hätte, mit großem Unverständnis zur Kenntnis genommen wurde.
Herr H-1 hat durch seine Entscheidungen Mouhameds Tod verursacht. Er hat seine Kollegen in die Situation gebracht, in der sie sich heute befinden. Er hat die Umstände herbeigeführt, die letztlich dazu führen, dass voraussichtlich zugunsten von Herrn S-1 und Frau B-2 ein Notwehrrecht bzw. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum angenommen werden. Er hat durch seine Entscheidung deren Notwehrlage provoziert, ohne dass diese Provokation ihnen rechtlich zugerechnet werden kann. Dies geht ausschließlich zulasten von Mouhamed. Diese Dimension spiegelt sich in dem beantragten Strafmaß absolut nicht wider.
Die Angeklagte B-3 hat sich einer gefährlichen Körperverletzung im Amt schuldig gemacht, indem sie Mouhamed mit dem Pfefferspray angegriffen hat.
Eine Entschuldigung nach § 59 Abs.2 S.2 PolGNRW kommt hier nicht in Betracht, denn die Angeklagte B-3 hat die Anweisung in Kenntnis der zur Strafbarkeit führenden Umstände sprichwörtlich blindlings befolgt. Die Weisungsgebundenheit des Polizeibeamten berechtigt aber gerade nicht zu blindem Gehorsam, er trägt auch im Fall einer Weisung die volle Verantwortlichkeit für die Rechtsmäßigkeit seiner Diensthandlung, § 36 Abs.1 Beamtenstatusgesetz. Es war nach den vorliegenden Umständen offensichtlich, dass sie mit der Befolgung der Anordnung eine Straftat begeht. Denn sie konnte kurz vor Einsatz des Pfeffersprays Mouhamed durch den Zaun sehen und sich selbst ein Bild davon machen, dass dieser nach wie vor unverändert keine Anstalten machte, jemanden anzugreifen, oder für sich selbst zur Gefahr zu werden.
Frau B-3 gibt an, sie sei durch das dichte Buschwerk in ihrem Sichtfeld stark eingeschränkt gewesen. Sie habe weder gewusst, dass Mouhamed in einer Sackgasse stand und der einzig mögliche Ausweg auf die Maschinenpistole zuführte, noch wie nah ihm die Kollegen standen. Sie habe den „schlagartigen“ Einsatz von Pfefferspray für sinnvoll gehalten, damit Mouhamed sich in die Augen fasst und das Messer fallen lässt.
Dieser Effekt hätte genau so gut nach einer Androhung einsetzen können. Es ist eine reflexhafte unmittelbar körperliche Reaktion, die unabhängig vom Wissen der Person einsetzt, weswegen es für die erhoffte Wirkung völlig irrelevant gewesen wäre, ob der Einsatz vorher angedroht wurde, oder nicht.
Allerdings hätte eine Androhung den Effekt gehabt, Mouhamed zu ermöglichen, ohne den Einsatz eines Zwangsmittels mitzuwirken und ihn nicht zum reinen Objekt staatlichen Handelns zu machen. Nebenbei hätte die Androhung den Einsatz möglicherweise rechtmäßig werden lassen.
Die StA geht davon aus, dass der Vorwurf an Herrn H-1 sich darin begründet, dass er seine ursprünglich getroffene Einsatzplanung nicht an die Gegebenheiten anpasste und wegen der notwendigen Wiederholungen der Anordnung wegen Störungen im Funkverkehr Gelegenheit hatte, zu erkennen, dass die von ihm befürchtete Gefahr nicht eintrat.
Dasselbe muss aber doch auch für Frau B-3 gelten, die ja auch zunächst reklamierte, dass sie keine freie Sicht hat und sodann noch einmal nachfragte, weil der Funkspruch nicht bei ihr ankam.
Der Ausbilder hat uns zum Thema Remonstration hier im letzten Termin noch erklärt, dass es schon erwartet wird, dass eine Beamtin, die Bedenken hat, ob eine angeordnete Maßnahme rechtmäßig ist, sich äußert und rührt. Der Vorgesetzte stünde in einer Beratungs- und Unterstützungspflicht und es sei ja nie ausgeschlossen, dass er einen Aspekt nicht bedacht, oder gesehen hat. In diesem Fall wusste Frau B-3, dass Mouhamed gebeugt und mit gesenktem Kopf vor ihr stand. Es lag nahe, dass sie die Augen nicht treffen könnte. Auf diesen Aspekt hätte sie Herrn H-1 hinweisen können und müssen, denn von einem korrekten Treffer hing wesentlich das erhoffte Ergebnis ab.
Von Frau B-3 ist nichts in dieser Richtung gekommen, obwohl sie erlebt hat, dass Zeit war, zu justieren, eine andere Position einzunehmen, nachzufragen und ja auch bei der Einsatzbesprechung dabei war und ebenso wie alle anderen wusste, dass Mouhamed dort nun seit gut einer halben Stunde unverändert hockte.
Zudem ist aus der Anweisung, jemanden schlagartig einzupfeffern nicht zwingend einzig und allein zu schließen, dass dies ohne Beachtung der wesentlichen Förmlichkeit einer vorherigen Androhung erfolgen soll.
Und selbst wenn man dies so versteht:
Zeit und Raum für ein „Hey T., meinst Du nicht, wir sollten das vorher androhen?“ wäre sicherlich gewesen.
Noch einmal ganz klar: Mouhamed hockte dort seit einer halben Stunde an der Wand, obgleich sich der Innenhof mit mehr und mehr Personen füllte, Funkgeräte dröhnten, er von F-1 und S-5 direkt angesprochen worden war, während Frau B-3 und ihre Gruppe noch versehentlich über Zäune und in den falschen Innenhof gehüpft waren.
Nach alledem ist Frau B-3 für ihre Entscheidung, das Pfefferspray einzusetzen gerade nicht entschuldigt. Es war erkennbar, dass der Pfeffersprayeinsatz ohne vorherige Androhung gegen Mouhamed rechtswidrig ist und eine Straftat darstellt. Es wäre Gelegenheit gewesen, Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Anordnung vorzubringen. Darauf hat Frau B-3 verzichtet.
Der Angeklagte B-1 hat sich ebenfalls durch den Einsatz des Tasers wegen einer gefährlichen Körperverletzung im Amt strafbar gemacht. Die Tat ist vollendet, unabhängig davon, ob ein Stromimpuls abgegeben wurde, mindestens einer der vom Angeklagten B-1 abgefeuerten Taserpfeile traf Mouhamed und verursachte eine Verletzung.
Für einen Ausschluss der Strafbarkeit, oder eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit aufgrund eines Erlaubnistatbestandsirrtums ist aus meiner Sicht kein Raum.
Wenn wir uns schon in den Spähren der Irrtümer bewegen, also von tatsächlich nicht vorhandenen, aber vorgestellten Tatsachen für das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen sprechen, dann müssen wir uns auch intensiv und kritisch mit dem Vorstellungsbild des Betroffenen auseinandersetzen. Hier in der Hauptverhandlung haben wir nach Durchführung der gesamten Beweisaufnahme und vorangegangenen Einlassungen seiner Kollegen von ihm gehört, er habe, nachdem Mouhamed bereits aufgesprungen war die Gefahr gesehen, er könne sich suizidieren, oder die Kollegen angreifen. In den vorgehaltenen Nachrichten, tatnah sah das noch ganz anders aus. Da war einziger Grund für den Tasereinsatz die Suizidprävention. Herr B-1 hat für sich seinerzeit nie reklamiert, sich in einer Notwehr- bzw. Hilfelage gesehen zu haben.
Ihm wurde hier seine Sprachnachricht vorgehalten, in der er ausdrücklich sagt: „.. und ich habe ja geschossen, da befand er sich noch im Bereich suizidaler Absichten. Sondern diesen tätlichen Angriff auf die Kollegen, den habe ich ja mit meinem Taserschuss nicht abgewehrt, sondern ich habe ihn beschossen, als er sich das Messer in den Hals gerammt hat oder gehalten hat…“
Es wird eine Frage der Beweiswürdigung sein, welcher Wert seinen Angaben in der Hauptverhandlung beizumessen ist und für wie glaubhaft das vor dem Hintergrund dieser eindeutigen, privaten Kommunikation ist in der er eine Nothilfelage nicht nur nicht erwähnt, sondern ausdrücklich ausschließt. Aus meiner Sicht ist hier keinerlei Raum für die Anwendung eines Erlaubnistatbestandsirrtums.
Eine Entschuldigung über den § 59 Abs.2 S.2 PolG NRW kommt für Herrn B-1 nicht in Betracht, der Angeklagte B-1 hatte keine unmittelbare Anweisung, den Taser einzusetzen, sondern handelte im eigenen Ermessen.