Digitalisierung in der Justiz: Vergesst den Justizvollzug nicht!

Von Lorenz Bode

Mit besonderer Aufmerksamkeit hat man die kürzlich in der Deutschen Richterzeitung erschienenen „Zwischenrufe“ von Annalena Baerbock (DRiZ 2021, 183), Christian Lindner (DRiZ 2021, 227), Ralph Brinkhaus (DRiZ 2021, 268) und Rolf Mützenich (DRiZ 2021, 269) zur Kenntnis genommen. Sie kommen zur richtigen Zeit. Denn nicht nur die Politik, sondern auch der Bürger spürt, dass sich jetzt, da ein Wendepunkt in der Pandemie erreicht scheint, bei der Digitalisierung in der Justiz etwas ändern muss.

Die „Zwischenrufe“ eint der Wille ihrer Verfasser, dass die Justiz mittels eines sogenannten Bund-Länder-Paktes digitaler gemacht werden soll. Als Beispiele für Digitalisierungsmöglichkeiten finden sich in den Beiträgen die bekannten Hinweise auf eine veraltete technische Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie auf die überwiegend analog verlaufenden Hauptverhandlungen. Hinzu tritt die Erkenntnis, dass der Mensch am digitalen Endgerät mit dessen Handhabung vertraut sein muss – Stichwort: Fortbildung der Justizkräfte.

Das alles ist richtig und gut. Es soll weder kritisiert noch soll die Art der Umsetzung, also die konkrete Ausgestaltung eines solchen Digitalpaktes, infrage gestellt werden. Auffällig ist jedoch, dass, obwohl alle Verfasser die Justiz im Ganzen digitalisieren wollen, sich weder in ihren „Zwischenrufen“ noch in den Wahlprogrammen ihrer Bundesparteien konkrete Ausführungen dazu finden, ob und wie sich diese Digitalisierungspläne auf den Justizvollzug auswirken sollen. Das Thema wird ausgespart. Dabei hat sich die Notwendigkeit der Digitalisierung unter dem Eindruck der Corona-Pandemie auch im Justizvollzug bestätigt. Aus verfassungs- und menschenrechtlicher Sicht (man betrachte nur den Beschluss des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 27.6.2019 sowie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Jankovskis vs. Litauen vom 17.1.2017) erscheint die Digitalisierung im Justizvollzug ebenfalls sinnvoll.

Natürlich ließe sich einwenden, dass der Justizvollzug bereits seit 2006 Ländersache ist und damit weder ein Aspekt eines Bundeswahlprogramms noch gar ein Anliegen einer Kanzlerkandidatin oder eines Kanzlerkandidaten sein muss. Und natürlich sind, wenn man die Fortschritte in diesem Bereich betrachtet, einige Bundesländer, so etwa Berlin mit seinem Vorreiterprojekt „Resozialisierung durch Digitalisierung“, bereits auf einem beachtenswerten Niveau angelangt. Zudem mag es sein, dass einem Teil der Bevölkerung die Anstaltssicherheit noch immer wichtiger ist, als Gefangenen moderne Technik zugänglich zu machen.

All das greift jedoch, gerade wenn man offensiv für einen Bund-Länder-Pakt in der Justiz eintritt, argumentativ etwas kurz. Denn wer die Digitalisierung in der Justiz vorantreiben will, sollte den Justizvollzug nicht vergessen. Das bedeutet: Nicht nur die Gefängnisverwaltung muss digitaler, sondern auch dem Bürger in Haft, der, wenn auch unfreiwillig, ebenso Teil der Justizwelt ist, muss Internettechnik schon aus Resozialisierungsgründen zur Verfügung gestellt werden. Da ein solches Vorhaben Zeit braucht und sich nicht ohne Weiteres mit den Sparplänen mancher Bundesländer vereinbaren lassen wird, könnte der Bund auch für diesen Teilbereich finanzielle Unterstützung anbieten und so den Digitalisierungsprozess insgesamt entscheidend beschleunigen.

Um hieraus eine Forderung für den Bundestagswahlkampf zu machen, braucht es allerdings politischen Mut.