Schon zu Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland hat die Deutsche Aidshilfe im Auftrag einer Reihe anderer Organisationen und Verbände auf die besonders gefährdete Situation von Gefangenen und Untergebrachten in Gefängnissen und gefängnisähnlichen Institutionen (Forensische Psychiatrie, Abschiebungshaft, Polizeigewahrsam u.ä.) in einem Brief an die Justizministerien der Länderhingewiesen:

„Hier sind Menschen untergebracht, die wesentlich häufiger von schweren Vorerkrankungen betroffen sind als die Gesamtbevölkerung. Wie Sie wissen, leidet der Justizvollzug schon seit längerer Zeit an einem Ärztemangel, freie Stellen können aufgrund fehlender geeigneter Bewerber*innen nicht nachbesetzt werden. Ein weiteres Problem ist, dass viele Menschen auf engem Raum untergebracht sind und die baulichen Gegebenheiten oftmals eine gute Zufuhr frischer Luft erschweren. Dies alles sind Faktoren, die eine Ausbreitung dieses Virus begünstigen.“

Ähnliches gilt für das in solchen Anstalten beschäftigte Personal. Dennoch gibt es ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie nur sehr lückenhafte Angaben über das Ausmaß der Infektionen in diesen Einrichtungen. Nur das Justizministerium von NRW veröffentlicht Inzidenzzahlen für Gefangene und Bedienstete in Justizvollzugsanstalten. Die Senatsverwaltung Justiz von Berlin veröffentlichtentsprechende Zahlen der Gefangenen, aber nicht der Bediensteten. Diese insgesamt schlechte Informationssituation ist in hohem Maße kritikwürdig. In anderen Staaten werden solche Daten routinemäßig öffentlich zugänglich gemacht. Für die USA wurde festgestellt, dass der Inzidenzwert in Gefängnissen viermal höher ist als außerhalb. Auch in Deutschland besteht die Gefahr, dass sich in totalen Institutionen Infektionsherde bilden, die dann nur schwer zu beherrschen sind und letztlich in die Gesellschaft außerhalb ausstrahlen.

Wir begrüßen, den Beginn der Impfkampagne in Alters- und Pflegeheimen in Deutschland.

Wir fordern, den Gefangenen und Bediensteten in totalen Institutionen, d.h. in Gefängnissen und gefängnisähnlichen Institutionen, entsprechende Priorität einzuräumen.

Den im Folgenden abgedruckten Aufruf der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) unterstützen wir vollinhaltlich:

Strafvollzugsarchiv e.V., Bremen, 28.1.2001
Strafvollzugsarchiv, FH Dortmund
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Deutsche Gesellschaft zur humanen Fortentwicklung des Strafrechts (DGhFS)
Deutsche Aidshilfe e.V. (DAH)

 

Priorisierung von Gefängnissen bei Impfstrategie gefordert!

GG/BO Soligruppe Leipzig

Besonders in Gefängnissen stellt der Coronavirus SARS-CoV-2 eine besondere Gefahr und eine hohe Belastung für Gefangene als auch Bedienstete dar. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich das Coronavirus in einer geschlossenen Institution ähnlich schnell verbreitet wie in Pflegeheimen und anderen stationären Einrichtung zur Unterbringung von Menschen.

Sowohl Gefangene wie auch Justizbedienstete haben ein erhöhtes Infektionsrisiko, da sich in einer Justizanstalt viele Menschen auf engsten Raum aufhalten, die Räumlichkeiten eine notwendige Luftzirkulation erschweren und ein Mindestabstand von 1,50m häufig aufgrund der Enge gar nicht gewährleistet werden kann. Küche, Sanitäranlagen und Aufenthaltsräume werden zudem gemeinsam genutzt und nicht selten sind mehrere Gefangene gemeinsam in einer Zelle untergebracht. Kontakteinschränkungen bzw. Vermeidungen sind in einer Institution wie dem Gefängnis in der Regel gar nicht umsetzbar.

Wie die Zahlen bestätigen, steigen die Zahlen infizierter Bediensteter und Gefangener kontinuierlich an. Dieser Zustand führt nicht nur vermehrt zu Sorgen und Ängsten unter Gefangenen, sondern wird auch zunehmend in Fachkreisen diskutiert. Es ist allgemein bekannt, dass der Gesundheitszustand von Gefangenen durchschnittlich schlechter ist als der der Allgemeinbevölkerung. Sie leiden häufig an Vorerkrankungen aufgrund ihrer meist prekären Lebensumstände. Dazu kommt, dass die medizinische Versorgung in Haft aufgrund von Ärzt*innen- und Personalmangel häufig nicht in dem benötigten Umfang gewährleistet werden kann. Selbst der DBB schreibt hierzu, dass „das vorhandene Krankenpflegepersonal […] auf schwere Verläufe nicht vorbereitet [ist].“

Wir fordern demnach die Regierung  auf, Gefangene sowie Bedienstete zu priorisieren und in der Impfstrategie verstärkt zu berücksichtigen. Insbesondere Gefangene und Bedienstete, die zu einer der Risikogruppe zählen, sollten vorrangig geimpft werden.

Leipzig, 20. Januar 2021